Die Jagd nach wildem Honig in den Bergen Nepals ist gefährlich – und untermauert von abergläubischen Traditionen.
Tabitah Bühne
8. Dezember 2017

Es ist ein weiter Weg zu den Honigjägern. Erst fliegen wir von Delhi nach Kathmandu, und von Nepals Hauptstadt aus ist es nochmal eine Tagesreise: Mit dem Jeep fahren wir über teils gefährliche Wege. Dann, als das Weiterfahren unmöglich wird, marschieren wir zu Fuss weiter. Der Dorfvorsteher holt uns ab und geht voran. Er ist alt, zierlich und läuft munter barfuss die kleinen Pfade hinauf. Die Luft wird dünner. Unter uns windet sich ein türkisfarbener Fluss durch die malerische Landschaft. Ziegen klettern wenige Meter über uns in den Felsen herum. Wir nähern uns dem Dorf. Ein Mann pflügt mit zwei Ochsen kleine Feldabschnitte. Frauen tragen grosse Holzkörbe, die mit einem Riemen an der Stirn befestigt sind. Ich fühle mich wie in einem alten Film, einer längst vergangenen Zeit. Neugierig empfangen uns die Kinder. Die Erwachsenen reagieren überwiegend freundlich, andere etwas kritisch – wahrscheinlich haben sie noch nie eine Weisse im Dorf gesehen. Ganz oben steht eine Schule. Es gibt keinen Arzt, nur eine Art Priester. Ein Junge schnüffelt an meinem Arm. Es ist sehr ärmlich hier. Nirgends sehe ich eine Dusche oder Toilette. Man wäscht sich mit dem Wasser aus dem Schlauch, der aus einer Quelle alle Häuser versorgt. Unsere Gastgeber sind alt, aber fit. Still, mit interessantem Nasenschmuck und weissem Zopf, sitzt die Grossmutter vor dem Haus. Sie ist etwa 92 Jahre alt, so genau weiss sie es nicht. Eine Unmenge Fliegen setzen sich immer wieder auf ihre Füsse und in ihr Gesicht.

Das Haus, in dem wir übernachten werden, besteht aus Lehm und Holz. Links wohnen die Zeigen, ein junger Hund tollt umher, und eine Schar von Hühnern und Küken läuft herum, auch ins Haus hinein. Die Dame des Hauses wäscht die Blechschalen und den Topf mit dem kalten Wasser. Dann kocht sie auf einem Feuer Reis, Linsen und ein spinatähnliches Gemüse. Die Milch, die sie uns anbietet, schmeckt lecker, sie stammt von ihrer Kuh. Immer mehr Menschen versammeln sich. Einige Männer basteln aus Schilf und dem Tau, das wir mitgebracht haben, eine Leiter. Die alte haben sie beim Erdbeben vor zwei Jahren verloren. 25 Dorfbewohner starben. Die lange Leiter wird eingeweicht. Morgen wird man sie brauchen, um für den Honig die 100 Meter tiefe Felswand hinunterzuklettern. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das gehen soll ... In dieser Jahreszeit wird der wilde Honig zur Herstellung von Medikamenten verkauft, im Herbst verwendet man die Ernte als Nahrungsmittel.

(Artikelauszug aus ethos 12/2017)