Zehn Jahre lebte Meli als André. Wie sie das wahre Frausein entdeckte und endlich ankam. Die Geschichte ihrer Transition zum Mann und zurück.
Interview: Daniela Wagner
26. September 2025

Liebe Meli, magst du uns erzählen, wie du aufgewachsen bist? Was hat deine Kindheit geprägt?

Ich wuchs mit einem 13 Jahre älteren Halbbruder und einer jüngeren Schwester auf, die kurz nach mir zur Welt kam. Mein Vater liebte es, Feste zu feiern. Bei uns war immer etwas los, es war laut, fröhlich – und nie langweilig. Allerdings zogen wir oft um, schon bis in mein Kindergartenalter zweimal.

Ich war wild, laut und frech – das genaue Gegenteil meiner süssen, kleinen Schwester. Von meiner Mutter hörte ich oft: «An dir ist ein Junge verloren gegangen.» Ich spielte lieber mit Autos, hängte Barbies auf, damit der starke Ken sie retten konnte – ein typisches Mädchen war ich nie.

Als mein Vater mir einmal erklärte, dass Jungs einen Penis und Mädchen eine Scheide haben, fragte ich: «Warum habe ich dann keinen Penis?» Es war ein Moment der Verwirrung – aber grundsätzlich war ich ein glückliches Kind.

Das änderte sich, als ich acht Jahre alt war: Meine Eltern trennten sich. Wir zogen erneut um, und mein Vater war von da an kaum noch präsent. Mit ihm verschwand die Lebendigkeit im Haus. Meine Mutter zog sich mehr und mehr in esoterische Dinge zurück, wir zogen zwei weitere Male um. Ich fühlte mich zunehmend einsam.

Deine Teenagerzeit war wohl besonders herausfordernd, oder?

Ja, sehr. Als meine Brüste zu wachsen begannen, fühlte sich das falsch an. Natürlich weiss ich heute, dass viele Jugendliche während der Pubertät sich mit all den hormonellen und körperlichen Veränderungen schwertun. Aber damals dachte ich: Mit mir stimmt etwas nicht.

Ich probierte viele Kleidungsstile aus – Hip-Hop, Emo, Skater, dann wieder alles in Pink, sogar die Haare. Aber nirgends war ich wirklich zu Hause. In weiter Kleidung fühlte ich mich am wohlsten.

Ich wollte auffallen, gesehen und angenommen werden – und fühlte mich gleichzeitig innerlich völlig allein. Ich entwickelte eine Fresssucht, konnte vier Tafeln Schokolade hintereinander essen – und hasste mich danach dafür.

Dann verliebte ich mich zum ersten Mal – in eine Frau. Das war für mich logisch: Ich fühlte mich als Junge. Ich passte nicht ins Bild einer Frau, also musste ich wohl ein Junge sein.

Aber ich hatte niemanden, mit dem ich über meine inneren Nöte sprechen konnte. Mein Vater war abwesend, meine Mutter überfordert. Ich dachte: Wenn es einen Gott gibt, muss er mich hassen. Mein Leben erschien mir nur noch als Last. Ich hatte oft Selbstmordgedanken.

Du hast dann eine Ausbildung begonnen – brachte das Veränderung?

Zunächst nicht. Ich machte eine Ausbildung zur Fachfrau Betreuung – mit Kindern zu arbeiten war immer mein Wunsch.In dieser Zeit passierte etwas Einschneidendes: Eines Nachts überkam mich eine unbeschreibliche Panik – ich hatte Todesangst. Aus Verzweiflung rief ich innerlich: «Jesus, wenn es dich gibt – hilf mir!» Und plötzlich erfüllte mich ein Gefühl tiefster Geborgenheit. Ich konnte ruhig einschlafen. Ab da wusste ich: Jesus lebt. Er hatte mich gehört. Dieses Wissen trug mich durch den Alltag – auch wenn ich Gott als Vater noch nicht verstehen konnte. Mein leiblicher Vater hatte mich verlassen. 

Innerlich war ich weiter zerrissen. Auch meine Beziehung mit einer Frau gab mir keine Stabilität – wir taten uns nicht gut. In dieser Zeit hörte ich zum ersten Mal von Transgender: Nadja Brönimanns Geschichte mit dem Titel «Sie haben mich kaputt operiert» schockierte mich – aber sie vermittelte mir auch: Ich bin nicht allein. Und: Man kann etwas tun.

Meine damalige Freundin, die unsere Beziehung vor ihrer strenggläubigen Familie verheimlichte, meinte auf meine Frage, ob sie zu mir stehen würde, wenn ich transitionieren würde: «Vielleicht.» Dieses Unverbindliche tat weh – es war einer der Hauptgründe, warum ich diesen Schritt ging.

Über das Internet fand ich einen Stammtisch für Transmänner und erhielt dort eine Empfehlung für einen Therapeuten, der schnell Diagnosen ausstellte. Nach nur 15 Minuten hatte ich mein Transgender-Gutachten – der Therapeut kannte weder mein Leben noch meine Hintergründe, aber jetzt war der Weg zur Hormontherapie frei. Ich war damals 23 Jahre alt, das war im Jahr 2011.

Wie ging es danach weiter?

Ich begann mit der Testosteron-Hormontherapie. Die körperlichen Veränderungen kamen schnell: mehr Kraft, Muskeln, Bartwuchs, tiefere Stimme – und ein sehr starkes sexuelles Verlangen. Viele Frauen können sich kaum vorstellen, was Männer in der Pubertät hormonell durchmachen – es war überwältigend, manchmal sogar beängstigend.

Die Mastektomie – also die Brustentfernung – liess ich mit 25 machen. Weitere Operationen habe ich Gott sei Dank nicht durchführen lassen. Ich sah, wie andere litten: Schmerzen, Komplikationen, ein Leben voller medizinischer Eingriffe. Online liest man darüber kaum etwas. Die Realität wird oft beschönigt.
Nach der OP dachte ich: Jetzt beginnt mein echtes Leben. Zwei Monate war ich euphorisch – dann kam die Ernüchterung: Ich war immer noch ich. Meine inneren Probleme waren geblieben.

Lesen Sie das ganze Interview in ethos 06/2025