New Age heisst das Zauberwort, das nichts weniger verspricht, als hinter das Geheimnis des wahren Lebens zu kommen. Wie Julia Fehr nach 30 Jahren fand, was sie so lange suchte.
Daniela Wagner
8. Dezember 2019

Was versteht man unter «Esoterik»? worum geht es? Was sind ihre Ziele?

Ursprünglich bedeutete der Begriff Esoterik eine geheime Lehre, die nicht allgemein zugänglich war. Heute ist daraus ein grosser Markt entstanden, bei dem viel Geld verdient wird. Esoterik ist ein Sammelbegriff, eine Philosophie und gleichzeitig eine Vermischung verschiedener Methoden, Traditionen, Therapien und Religionen. Von Klangschalenmassage über Meditationen aller Art bis hin zu Rückführungsprozessen gibt es eine Vielzahl an Angeboten, Methoden und Therapien, z. B:  Reiki, Lichtarbeit, Channeling, Energetische Behandlungsmethode wie Bioenergetik, Farbenbehandlung, Fussreflexzonenmassage, Akupunktur, Fernheilung, Meridianbehandlung, Symbole, Zeichen, Orte der Kraft, Heilige Geometrie, Kinesiologie, Edelsteine (geladen mit heilsamer Energie), Radiästhesie, Rückführung, Feng-Shui (eine Philosophie von Taoismus, mit Astrologie, Numerologie und diversen Orakeltechniken verknüpft), Bachblüten, Mondrituale, Mondkalender, Feuerlauf, Einweihungen und Meistergrade u. v. m.

Eine wachsende Zahl an Meistern, Gurus und Coaches will den Menschen weg von einer unbewussten oder ungesunden Lebensweise hin zu Achtsamkeit, zu einem neuen Bewusstsein und einem neuen Menschen- und Weltverständnis führen, zu einem Leben in dieser Welt, das von Erfolg, Harmonie und Frieden geprägt ist.

Es geht bei der Esoterik darum, eine Verbindung mit der eigenen inneren Welt zu schaffen, mit dem Unterbewusstsein, dem wahren Ich. Das Ziel ist Wachstum, um das innere Licht auf höheren Ebenen hier auf der Erde zu kanalisieren. Kurz gesagt, um göttlich zu werden.

 

Woher kam deine Faszination für die Esoterik?

Julia Fehr: Ich bin Ende der Fünfzigerjahre geboren, aufgewachsen in Siebenbürgen, dem ungarischen Teil Rumäniens, und war geprägt vom Kommunismus mit seinem atheistischen Weltbild. Trotzdem wurde ich reformiert erzogen, das heisst, ich hatte einige Kenntnisse von Gottes Wort, aber keine Beziehung zu ihm. Sprach man in jener Zeit über Gott, war jedermann klar, dass es sich um den Gott der Bibel handelte.

Damals lernte ich eine Frau kennen, mit der ich mich sehr gut verstand. Sie sprach von Dingen, die mir fremd waren: andere Dimensionen, die dem Menschen offenstehen, Ufos, neue Zivilisationen und Möglichkeiten. New Age hiess das Zauberwort, das nichts weniger verspricht, als hinter das Geheimnis des wahren Lebens zu kommen. Die Vorstellung, ein goldenes Zeitalter würde anbrechen, imponierte mir. Ein Zeitalter, das die Geburt des neuen Menschen, globalen Frieden und eine Bewusstseinserweiterung bis hin zur Vergeistigung des Menschen verhiess.

Ich hatte bereits viel Schweres erlebt: die Flucht nach Ungarn, mein Mann, der sehr jung an Krebs starb, und ein Elternhaus, in dem ich nie das Gefühl bekommen hatte, gewollt und geliebt zu sein. Obwohl ich in Ungarn erfolgreich internationale Kulturevents organisierte und mit Leuten von Rang und Namen verkehrte, war ich voller Fragen.

Als neugieriger Mensch hatte ich einen unersättlichen Hunger nach mehr Wissen über Herkunft, Sinn und Ziel meines Daseins. Wurde ich von jemandem gewollt? Was ist meine Identität? Weshalb wird der eine arm und der andere reich geboren; warum ist der eine krank und der andere gesund, die einen «denkschwach», die andern intelligent? Kann es sein, dass in der buddhistischen Lehre der Reinkarnation die Wahrheit liegt? Einfach Schicksal, oder steckt etwas dahinter, das ich noch erkennen und erfahren sollte?

Da gibt die esoterische Philosophie vielversprechende Antworten: Nur das Hier und Jetzt existiert. In jedem steckt das Potenzial, sich selbst erkennen zu können. Wir sind universale Wesen, mit einem freien Geist, verborgen in einem Körper.  Frei und ewig. Wasserstoff-Kristalle. Krist-Alle. Krist-Über-All. Eine kristalline Struktur in Form eines Menschen, und wir tragen die Erlösung in uns.

Unser jetziges Leben ist die selbst gewählte Aufgabe. In jedem Menschen ist alles Wissen verborgen. Es gilt, sich an alles zu erinnern, weiterzukommen, an Erkenntnis und Erleuchtung zuzunehmen, das Göttliche in sich zu entdecken und ganz im Licht aufzugehen. Wir sind in eine neue Zeit getreten und müssen den Blick verändern, weg von der Materie, den Fokus auf das Geistige richten und mit der Schöpferkraft in uns etwas Neues hervorbringen.

Du wolltest also mehr über das Leben wissen und darüber, wer du bist?

Genau. Mein Bestreben war, Meister meines Schicksals zu werden, meine Tage und die Geschehnisse unter Kontrolle zu haben. Das Lesen des täglichen Horoskops zum Beispiel schien mir ein unschuldiges Spiel, dem ich keinen grossen Einfluss auf mein Leben beimass. Es war für mich lediglich ein Wegweiser aus der unsichtbaren Welt der Engel, Sterne und ihrer Konstellationen. Die Folgen dieses Irrglaubens habe ich erst viel später begriffen.     

«Du bist der Mittelpunkt des Lebens. Du bist fähig, die göttliche Kraft aufzunehmen und immer stärker zu werden», lauten die Versprechen der esoterischen Literatur ...

Ja, so ist es. Murphy, Krayon, Osho, Tepperwein, Louise H. und wie sie alle heissen vermittelten mir das. Ich lernte das esoterische Gedankengut aber nicht nur durch Bücher kennen, sondern bekam auch Informationen aus dem Freundeskreis. So besuchte ich viele Seminare, betrieb Musikmeditation und praktizierte Yoga.

Damals war mir überhaupt nicht bewusst, dass ich Esoterikerin bin. Ich hielt mich für einen postmodernen, aufgeklärten Menschen auf der Suche nach der Wahrheit. Mein Ziel war der Weg, immerzu zu wachsen und zu völliger Erkenntnis zu gelangen.

Als Bioenergetikerin interessierte ich mich für die wissenschaftliche Seite des Lebens. Ich war überzeugt, dass es eine Möglichkeit gibt, unsere energetischen Schwächen auf emotionaler und geistiger Ebene zu neutralisieren. Diese konnten meiner damaligen Meinung nach aus allen Bereichen des Lebens stammen: Gesundheit, Beziehungen, Beruf, Finanzen oder fehlender Glaube. Ich glaubte, die Zeit würde von uns fordern, Überholtes loszulassen, damit das Echte, Wahre, Authentische hervorscheinen kann. Dazu suchte ich meine eigene alternative Methode, die auf meinen eigenen Erfahrungen beruhte.

Über zehn Jahre, während Hunderten von Stunden, hast du versucht, mittels Meditation in eine höhere Bewusstseinsstufe zu gelangen. War damit die Leere aus deinem Leben verschwunden?

Ich wollte in diesem Regenbogen-Zeitalter nicht die einmalige Chance verpassen, die Göttlichkeit in mir zu entdecken. Doch diese innere Leere ist durch diese Praktiken erst richtig in mein Leben gekommen. Ich meditierte, um eine Bewusstseinserweiterung zu erreichen, wollte das uralte Wissen in meine Erinnerung holen mit dem Ziel, andern zu helfen, ihnen Gutes zu tun und – als Krone der Schöpfung – mit Gott eins zu werden. Ich strebte nach «Erleuchtung» und wollte damit meine eigene Welt, mein eigenes Universum schaffen, in welchem ich als Allwissender regieren kann. In meiner eigenen Stimme Gottes Wort erkennen, weil Gott und ich eins sind! (Holofeeling) Du kannst sein wie Gott – das ist die Lüge Satans seit Anbeginn der Menschheit.

Alle Meditationsformen streben nach dem Erlangen göttlichen Bewusstseins, eins zu werden mit dem Universum und damit auch mit Gott. Dabei ist der Weg das Ziel: Erfahrungen sammeln und spielerisch sein Karma verändern lassen.

In der Schweiz bot sich dir die Möglichkeit, Bioenergetik und Naturheilkunde zu studieren und eine eigene Praxis in St. Gallen zu eröffnen. Was suchten die Kunden bei dir?

Nach meinem Studium als Bioenergetikerin nach Wilhelm Reich und einem Kurs und Einweihung in Bioenergetik Extrasens nach Philippi sowie dem Studium der Naturheilkunde nach Paracelsus fühlte ich mich in der Lage, andere zu beraten. Zudem gab mir die Zusammenarbeit mit einer Ärztin und Psychologin die Sicherheit, Menschen in meiner Praxis zu behandeln.

Nach meiner damaligen Vorstellung war ich in der Lage, Bioenergie zu empfangen, weiterzuleiten und mit positiven Bioinformationen zu verstärken. Eine bioenergetische Behandlung hat den Anspruch, die Gesundheit zu fördern, indem sie sogenannte energetische Blockaden auf seelischer, geistiger und körperlicher Ebene auflöst. Durch Berührung, eine Art Zellen-Kommunikation, geschieht Heilung. Es geht um Befreiung von alten Lasten, von unbewussten negativen Energiefeldern, darum, die negativen Gedanken und Verhaltensmuster durch positive zu ersetzen.

Ich hatte Kunden aus der obersten Gesellschaftsschicht. Legte ich jemandem für 50 Minuten die Hände auf, kostete das sehr viel. Ich dachte, ich sei etwas ganz Besonderes.

Zu meinen Klienten gehörten Krebskranke oder Menschen mit psychosomatischen Störungen und Personen, die sich einfach ein gesundes Gleichgewicht wünschten. Ich konzentrierte mich auf meine Praxis, auf die Klienten, und natürlich wollte ich damit auch Geld verdienen. Meine alternative Therapie war Teil einer psychotherapeutischen Behandlungsserie. Wenn die Psychologin nicht mehr weiterhelfen konnte, kam der Klient zu mir, um durch Handauflegung die weiteren Blockaden zu lösen. Selbst war ich aber innerlich leer.

Weckte dies dein Interesse an dem, was die Leute auf der anderen Strassenseite deines Esoterik-Shops glaubten, den Christen, die sich dort trafen?

Ich hatte keinerlei Interesse an Religionen. Nie wollte ich zu irgendeiner Organisation oder Glaubensgemeinschaft gehören. Ich dachte, gläubige Menschen hätten ein eingeschränktes Bewusstsein und könnten die Verantwortung für ihr eigenes Leben nicht übernehmen. Begrenztes Bewusstsein und auch begrenztes Wissen schien sie auszuzeichnen. Christen waren meiner Meinung nach schwach, und vor allem altmodisch und bequem. An Gott konnte man auch in der Natur glauben, dafür brauchte man keine Kirche.

Was mich aber interessierte, war die Meinung eines Theologen, wer ich aus Gottes Sicht bin, wie Gott den Menschen sieht und auch, was er von Handauflegen hält. Ich war überzeugt, mit dem wahren Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen, zu arbeiten. Bevor ich die Hände auflegte, rief ich «Jesus» an, der nach esoterischem Verständnis heute Sananda heisst und nicht Gottes Sohn, sondern ein aufgestiegener Meister ist. Ich sah diesen «Jesus» mit einer Aura aus violettem Licht und dann floss durch meine Hände Wärme – ein unglaubliches Erleben! In solchen Sitzungen wurden Menschen von ihren Leiden geheilt. Seltsamerweise fühlte ich mich dennoch immer so, als wäre irgendetwas nicht in Ordnung. Heute weiss ich, dass ich nicht mit Jesus, sondern mit dämonischen Kräften zusammengearbeitet habe.

Nach zehn Jahren «harter» Arbeit an mir erreichte ich nach endlosen Seminaren die siebte Stufe. Die Erwartung war gross: endlich mit Gott eins sein, grenzenloses Licht. Aber trotz aller Versprechungen, was die vielen Meditationen bringen würden, blieb das Ziel der Göttlichkeit unerreichbar. Als ich es wirklich geschafft hatte und ganz «oben ankam», war da nur nichts! Dunkelheit! Diese Enttäuschung kann ich dir gar nicht beschreiben! Ich fühlte mich betrogen, hatte ich doch mein ganzes Sinnen und Streben diesem Ziel untergeordnet. Und nun? Einfach nichts!

Die Suche nach Erkenntnis und Lebenssinn hatte damit kein Ende gefunden. Geschäftlich war ich erfolgreich, innerlich aber bankrott.

Was geschah dann?

Aufgrund dieser Geschehnisse war ich nun bereit, einen Gottesdienst zu besuchen.

Ich schaute mir die Menschen in dieser Gemeinde an und merkte, dass sie etwas besassen, was ich nicht kannte. Zu lieb, zu nett, zu schön, um wahr zu sein, dachte ich. Fast störend. Und trotzdem spürte ich eine eigenartige Anziehungskraft. Ich wollte diese Leute kennenlernen und erfahren, was dahintersteckt.


Lesen Sie das ganze Interview in ethos 12/2019.