
Vor mir sitzt ein junger Mann am Schreibtisch. Er wirkt unauffällig: ordentlich gekleidet, aus einem gläubigen Elternhaus. Doch in ihm schreit alles nach Hilfe. Seit Jahren ist er gefangen in einer Sucht – nicht nach Strassendrogen, sondern nach etwas, das ebenso abhängig macht: Pornografie- und Mediensucht.
Diese Abhängigkeit wirkt direkt auf das Gehirn. Sie stimuliert die Ausschüttung von Dopamin, einem Botenstoff, der die Belohnungserwartung steuert. Sobald Dopamin an die Rezeptoren im Lustzentrum des Vorderhirns andockt, sendet das Gehirn Signale aus, die Glücksgefühle und Zufriedenheit erzeugen – und den Drang verstärken, immer wieder nach diesem Kick zu suchen.
Pornografie- und Mediensucht ist allgegenwärtig, leider auch unter Christen, was man oft nicht wahrhaben möchte. Leicht zugänglich und gleichzeitig gesellschaftlich tabuisiert, entwickelt sie eine gefährliche Anziehungskraft. Durch das Internet hat sich diese Form der Sucht rasant verbreitet und Millionen Abhängige hervorgebracht. Anonym, unbegrenzt und kostenlos liefert das Web den Süchtigen ihren «Stoff».
Auf der ständigen Suche nach dem Dopamin-Kick suchen die Betroffenen nach immer extremeren Bildern und Filmen. Sie geraten in eine Abwärtsspirale, in zunehmende Dunkelheit. Viele erkennen selbst, dass sie sich in einem Teufelskreis befinden. Schuld und Scham belasten sie, oft bis hin zur Depression.
So auch der junge Mann, der unsere Einrichtung aufsuchte. Verzweifelt bat er um Aufnahme. Er wusste: Allein schafft er es nicht. «Wenn mich niemand aufhält, schaue ich mir Dinge an, die strafrechtlich verfolgt werden. Das will ich nicht. Lieber bringe ich mich vorher um.»
Dies ist kein Einzelfall. Wenn sich Betroffene an ihre Eltern oder andere Vorbilder wenden, wissen diese oft nicht, wie sie helfen sollen. Nicht selten wird das Thema totgeschwiegen. Manche verharmlosen gar das Problem: «Das macht doch jeder», «Dann schau doch einfach weg», «Geh nicht mehr an den PC». Für die Abhängigen sind solche Ratschläge jedoch wertlos.
In vielen Fällen hilft den Betroffenen schon echte Anteilnahme. Manche sind bereit, ihre Freiheit einzuschränken: Internetzugang begrenzen, Geräte mit Passwörtern schützen, regelmässige Kontrollen zulassen. Gute Hilfsmittel sind beispielsweise www.covenanteyes.com (leider nur auf Englisch) oder die Bildschirmzeit-Einstellungen von Smartphones.
Doch manchmal reichen diese Massnahmen nicht aus. Sucht macht erfinderisch, und so überwinden Betroffene auch die grössten Hürden, um wieder an den gewohnten Dopamin-Ausstoss zu gelangen.
Gefährdetenhilfe Weitblick
Für genau solche betroffenen Männer zwischen 18 und 30 Jahren ist die Wohngemeinschaft der Gefährdetenhilfe Weitblick. Joel und Dhanja, die Hauseltern, haben bereits mehrere Jahre Erfahrung in der Leitung einer solchen Einrichtung. Dabei beschränkt sich die Hilfe nicht nur auf die Onlinesucht, denn Substanzabhängige – also von Drogen Betroffene – haben ähnliche Probleme. Oft fehlt es den jungen Männern auch an geregelten Abläufen in ihrem Leben. Wir wollen ihnen helfen, neue Wege und Strukturen aufzubauen.
Um ihnen einen Neustart zu ermöglichen, leben wir mit ihnen zusammen und begleiten sie im Alltag. Im ersten Jahr haben sie keinen Zugang zu Medien oder Internet. Alle Suchtmittel sind tabu: keine Zigaretten, kein Alkohol, keine Drogen. Wir begleiten sie anfangs bei Erledigungen ausserhalb des Geländes, um den Zugang zu Suchtmitteln zu erschweren. Abstinenz ist bei der Suchtbekämpfung oberstes Gebot.
Es bedarf jedoch weit mehr als nur Abstinenz. Jeder Mensch braucht Liebe, Geborgenheit, Sinn im Leben, Arbeit und Perspektiven. Deshalb gestalten wir die Gefährdetenhilfe Weitblick so familiär wie möglich. Die Männer wohnen mit Joel und Dhanja in einer Wohngemeinschaft. Küche, Wohn-, Musik- und Esszimmer werden geteilt. Besonders wichtig ist das gemeinsame Abendessen.
Unser Ziel ist es, den jungen Männern das Evangelium von der Liebe Gottes näherzubringen, wo sie Annahme und Vergebung finden können, und sie zu einem Leben in der Nachfolge und im Vertrauen auf sein Wort in der Bibel zu ermutigen. Wir möchten, dass sie zu Jüngern heranwachsen, die fest im Leben stehen und zu wertvollen Werkzeugen in den Händen Jesu Christi werden. Ein solches Leben gedeiht am besten in der Geborgenheit einer Familie, die als Ort der Gemeinschaft und des gegenseitigen Vertrauens dient. Gott hat uns dafür geschaffen, damit wir miteinander reden, uns austauschen, voneinander lernen und uns auch gegenseitig korrigieren können. In solch einem Miteinander teilen wir Freuden und Niederlagen und finden dadurch Freunde und Vertraute, die uns auf unserem Glaubensweg begleiten und stärken.
Viele Kämpfe gegen alte Gewohnheiten müssen nach und nach gewonnen werden. Dabei sind wir voll und ganz auf die Hilfe unseres Herrn Jesus angewiesen. Wir müssen wie König Asa beten: «HERR! Um zu helfen, ist bei dir kein Unterschied zwischen einem Starken und einem Schwachen. So hilf uns, HERR, unser Gott! Denn auf dich setzen wir unser Vertrauen ...» (2. Chr. 14,10).
Unser Zweckbetrieb – Arbeit als Strukturgeber
Ein weiterer wichtiger Pfeiler unseres Konzepts ist die Einbindung einer zweiten Familie, Henoch und Debora mit ihren Kindern, in das Leben der Wohngemeinschaft. Sie sind verantwortlich für den Zweckbetrieb. Henoch teilt die Arbeiten ein, überwacht die Fortschritte und steht den jungen Männern bei allen praktischen Fragen zur Seite.
Lesen Sie den ganzen Artikel sowie das Interview in ethos 04/2025